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Provenienzforschung an der WLB Stuttgart – Restitution an die Bibliothek der Arbeitskammer Wien

Woher kommen unsere Bücher und wie sind sie in unseren Bestand gekommen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich seit einigen Jahren viele Bibliotheken und treiben mit der sogenannten Provenienzforschung die Klärung der Herkunft ihrer Bestände voran. Die WLB, als erste Bibliothek in Baden-Württemberg, suchte ab 2016 in einem auf drei Jahre angelegten Projekt, welches von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverlust und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wurde, systematisch nach NS-Raubgut.

Von hoher Wichtigkeit war dabei zu klären, ob Bestände in der Zeit des Nationalsozialismus als Raubgut in den Besitz der Bibliothek kamen. Das Ziel war die Rückgabe der Bücher, die höchstwahrscheinlich unrechtmäßig – teilweise über erhebliche Umwege –  in den Besitz der Bibliothek gelangt waren, an die jeweiligen Erben.

Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil der Bestände der WLB zerstört, danach versuchte man durch antiquarische Käufe, Geschenke oder Tausch die Bücher zu ersetzen. Ein abgegrenzter Teilbereich dieser antiquarischen Erwerbungen wurde systematisch Band für Band auf entsprechende verdächtige Hinweise auf Vorbesitzer:innen hin durchgesehen. Das konnten beispielsweise Exlibris, Stempel oder handschriftliche Eintragungen sein. Die meist sehr aufwändigen Recherchen zu Personen und Organisationen wurden in einer internen Datenbank dokumentiert und Verdachtsfälle in die entsprechenden überregionalen Verzeichnisse (z.B. Lost-Art-Datenbank, Provenienz-Wiki) sowie in den Verbundkatalog K10plus eingebracht.

Bisher wurden circa 100.000 Bände geprüft; insgesamt 115 Bände konnten inzwischen an vier verschiedene Erben zurückgegeben bzw. restituiert werden. Nun erfolgte eine weitere Rückgabe: Insgesamt acht Bände wurden an die AK Bibliothek Wien für Sozialwissenschaften restituiert. Aufgrund der anhaltenden Pandemie konnten die Bände leider nicht persönlich übergeben werden.

Bei der AK Bibliothek Wien handelt es sich um die größte österreichische Spezialbibliothek für Sozialwissenschaften mit einem Bestand von etwa 500.000 Bänden. Die Bücher der 1921 gegründeten Bibliothek wurden nach dem „Anschluss“ Österreichs ab Januar 1939 zum größten Teil von den Nationalsozialisten geraubt und in verschiedene Bibliotheken nach Deutschland verbracht. Ihr Verbleib nach 1945 konnte bisher nur in wenigen Fällen geklärt werden.

In der WLB wurden insgesamt acht Bände gefunden, die vor 1939 zum Bestand der AK Bibliothek gehört hatten. Vier stammen aus dem direkten Besitz der Arbeiterkammer:

> Internationales Jahrbuch für Politik und Arbeiterbewegung, Jahrgang 1912 und 1913
> Maleta, Alfred: Der Sozialist im Dollfuß-Österrreich, Linz: Preßverein Linz 1936
> Messner, Johannes: Die berufständische Ordnung, Innsbruck [u.a.]: Tyrolia 1936

Die AK-Bibliothek nahm in den 1920er Jahren aber auch mehrere zehntausend Bände aus Privatbibliotheken auf. Dazu gehörten etwa 16.000 Bände des Wiener Rechtswissenschaftlers Anton Menger (Foto: Mitte), von denen einer ebenfalls in der WLB wiedergefunden wurde:

> Engels, Friedrich: Ludwig Feuerbach, Stuttgart: Dietz 1888

Die Privatbibliothek des sozialdemokratischen Politikers Engelbert Pernerstorfer (Foto: Unten rechts) bildete mit etwa 20.000 Bänden im Jahr 1922 den Grundstock der AK Bibliothek. In der WLB fanden sich folgende drei Titel:

> Bock, Alfred: Deutsche Dichter in ihren Beziehungen zur Musik, Leipzig: Carl Reißner 1893
> Heidrich, Kurt: Preussen im Kampfe gegen die französische Revolution bis zur zweiten Teilung Polens, Stuttgart und Berlin Cotta 1908
> Schmidt, Frantz: Maister Franntzn Schmidts Nachrichters inn Nürmberg all sein Richten, Leipzig: Heims 1913

Alle acht Bände wurden von der WLB an die AK Bibliothek restituiert. Auch in anderen deutschen Bibliotheken sind im Rahmen der NS-Raubgut-Forschung Bücher der AK Bibliothek gefunden worden. So gab die SLUB Dresden im Oktober 2020 zehn Bände zurück. Die WLB freut sich, dass es bei einem weiteren Teilbestand gelungen ist, die rechtmäßigen Eigentümer ausfindig zu machen, so dass die Bücher sich wieder an ihrem angestammten Platz befinden.

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