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Typografie im Raum auf Ebene A1

Eine Hymne für ein weltoffenes und freiheitliches Europa

Ich möchte nicht todt und begraben seyn
Als Kaiser zu Aachen im Dome;
Weit lieber lebt‘ ich als kleinster Poet
Zu Stukkert am Neckarstrome.

Heinrich Heine

 

Diese Zeilen von Heinrich Heine stammen aus dem Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen (1844), das Reisebericht und Politiksatire in einem ist. In über 500 Strophen beschreibt Heine darin die deutsche Misere der Zeit vor der bürgerlichen Revolution. Parodistisch und scharfzüngig kritisiert er die vorgefundenen sozialen und ideologischen Verhältnisse sowie die bedrückende politische und geistige Enge in Deutschland.

Im deutlichen Unterschied zu den Drucken Josua Reicherts aus dem Hauptgebäude tritt so ein Thema in den Vordergrund, das nicht von großen, erhabenen Bildern, sondern von Alltagserfahrungen und kritischen Tönen des Dichters geprägt ist. Der nach Frankreich emigrierte Dichter findet bei seiner Rückkehr im Rahmen von kürzeren Besuchen bei seiner Mutter und seines Verlegers sein Vaterland unverändert konservativ und rückwärtsgewandt vor, geprägt vor allem von der Zensur.

Manifestiert wird diese Kritik vor allem im „preußischen Adler“, der ihm verhasst ist. Das preußische Militär beschreibt er als „rittertümlich“, mittelalterlich im negativen Sinne. Dabei führt er zahlreiche Beispiele an wie die Kreuzzüge und die Ritterturniere. Diese Welt wird insbesondere repräsentiert durch Karl den Großen, der in Aachen begraben wurde. In deutlichstem Kontrast dazu zieht der Erzähler noch ein Leben als kleinster Poet in Stuttgart („Stukkert“) vor – nur muss es frei von der Zensur sein. Heine, der Erfinder des modernen Feuilletons, möchte hiermit ein Plädoyer für die Weltoffenheit geben wie auch für den Beruf des freien Schriftstellers. Seine unverhohlene Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit lässt ihn als einen Visionär eines neuen Europas erscheinen.

 

Der Text ist Teil eines künstlerischen Projekts welches die Württembergische Bibliotheksgesellschaft aus Anlass ihres Jubiläums in Auftrag gegeben hatte. Am 5. März 2024 wurde in der WLB die neue künstlerische Arbeit „Typografie im Raum“ als Geschenk ihres Fördervereins vorgestellt.

Die 16 typografischen Interventionen im Neubau greifen alltägliche Situationen und Grenzsituationen mit Stimmen aus der internationalen Weltliteratur auf. Ausgewählt wurden die Texte vom Philosophen Hannes Böhringer, künstlerisch umgesetzt vom Stuttgarter Büro Uebele.

Sie sind eine Fortschreibung der Arbeiten von Josua Reichert (aus dem Hauptgebäude) ins Zeitgenössische und Internationale. Im Rahmen einer Blogreihe werden diese Texte kurz vorgestellt. Als eine Kunst für Leserinnen und Leser können sie zum Nachdenken und zur weiteren Lektüre anregen.