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Buchcover: Propyläen Verlag

Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik

In Kooperation mit dem Stadtarchiv Stuttgart stellt die Bibliothek für Zeitgeschichte (BfZ) ein neues Video-Interview im Rahmen ihrer Vortragsreihe vor. Auf dem Wissenschaftsportal L.I.S.A. der Gerda Henkel Stiftung ist nun ein Gespräch mit dem bekannten Historiker Sönke Neitzel zu seinem aktuellen Buch „Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“ abrufbar.

Der Klappentext von Neitzels neuem Werk beginnt mit einem provokativen Satz: „Ein Leutnant des Kaiserreichs, ein Offizier der Wehrmacht und ein Zugführer der Task Force Kunduz des Jahres 2010 haben mehr gemeinsam, als wir glauben.“ Dieser Satz gibt die Linie des Buches vor, das auf 800 Seiten die deutsche „Kriegerkultur“ in all ihren Facetten untersucht. Das zentrale Ergebnis von Neitzels Analyse ist nicht minder provokativ: Soldaten sollen kämpfen und auch töten – eine Feststellung, mit der man sich nach 1945 traditionell schwertut, pflegt man doch seit Langem die Idee vom „Staatsbürger in Uniform“ und von der Bundeswehr als „Friedensarmee“. Zu diesem Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Militär sowie zur inneren Kultur der deutschen Streitkräfte seit 1871 befragten Dr. Christian Westerhoff von der BfZ sowie Dr. Günter Riederer vom Stadtarchiv Stuttgart den deutschlandweit einzigen Inhaber eines Lehrstuhls für Militärgeschichte an der Universität Potsdam.

Das Buch richtet sich gleichermaßen an Experten wie an ein breites Publikum. Schon seit Jahren wollte er analog zu seinem Bestseller über die Wehrmacht „Soldaten“ eine Analyse der Bundeswehr vorlegen, verrät Sönke Neitzel. „Aber wer interessiert sich schon für die Bundeswehr?“ Außerdem sei die Bundeswehr für ihn nicht ohne die Tradition der Wehrmacht zu denken. So ist ein umfangreiches Werk entstanden, welches die langen Linien der deutschen Militärgeschichte seit der Reichsgründung in den Blick nimmt. Die Leitfragen lauten für Neitzel dabei: „Wo liegt eigentlich der Hase im Pfeffer im Verhältnis von Zivilgesellschaft und Militär? Wie hat das Militär gedacht, wie hat es den Krieg geführt?“. Um diese Fragen zu beantworten, greift er auf einen reichen Schatz an Primärquellen zurück, unter anderem auf zahlreiche Interviews mit Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan gedient haben.

Ein zentraler Ansatzpunkt zum Verständnis des Auftretens und des inneren Zusammenhalts der Truppe stellen für Neitzel „tribal cultures“ dar, also die Stammeskulturen, welche die verschiedenen Waffengattungen und Einheiten über Jahrzehnte hinweg ausbildeten und über alle politischen Systemwechsel hinweg beibehielten. Fallschirmjäger hätten schon immer einen anderen Habitus an den Tag gelegt als z.B. eine Versorgungseinheit. Dies habe sich deutlich gezeigt, als sich die vermeintlich friedliche Aufbauhilfe in Afghanistan ab 2008 in einen Kampfeinsatz verwandelte. Nach Jahrzehnten als Friedensarmee stand nun wieder das Kämpfen im Zentrum der soldatischen Tätigkeit, womit die verschiedenen Truppenteile sehr unterschiedlich umgingen. Wen aber konnte sich die kämpfende Truppe zum Vorbild nehmen? Da im Kalten Krieg nicht gekämpft wurde, kam es immer wieder zu mentalen Rückgriffen auf die Wehrmacht. Dies sorgte in der Zivilgesellschaft und im Verteidigungsministerium entsprechend für Irritationen und Skandale. Die Hintergründe wurden nur von den wenigsten verstanden, wie Sönke Neitzel darlegt.

Das Gespräch zeigt, dass es nicht nur lehrreich, sondern durchaus auch sehr spannend sein kann, sich mit der Bundeswehr zu beschäftigen. Insbesondere die Verknüpfung ihrer langen Geschichte inklusive ihrer Vorgängerarmeen mit den Ereignissen der jüngsten Zeit führt zu interessanten neuen Perspektiven.

Die Veranstaltung ist online auf L.I.S.A. abrufbar.

 

Weiterführende Informationen

Link zur Video-Aufzeichnung des Gesprächs
Link zum Buch Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik im WLB-Katalog
Link zur BfZ-Vortragsreihe
Link zum Wissenschaftsportal L.I.S.A. der Gerda Henkel Stiftung
Link zur Webseite von Prof. Sönke Neitzel an der Universität Potsdam