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Stuttgart 21, Fridays for Future und Anti-Corona: Protestkultur in Stuttgart und anderswo

Am 22. Oktober 2020 diskutierte Christian Westerhoff im Rahmen der Vortragsreihe der Bibliothek für Zeitgeschichte mit Dr. Julia von Staden und Prof. Dr. Philipp Gassert über die bunte und lebendige Protestkultur, die sich in den letzten Jahren etabliert hat.

In Deutschland wird protestiert. Gegen Stuttgart 21, für mehr Klimaschutz, für bezahlbaren Wohnraum, eine Verkehrswende oder den Erhalt des Hambacher Forstes. Aber auch für den Diesel, gegen Corona-Maßnahmen und gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Während lange Zeit vor allem links-alternative und ökologische Bewegungen ihren Unwillen auf die Straße trugen, ist dies heute längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Protest ist heute auch bürgerlich, konservativ oder rechts.

Viele gesellschaftliche Themen und Entwicklungen reizen Bürgerinnen und Bürger, gegen oder für etwas zu demonstrieren. Beginnend mit S21 hat sich eine Protestkultur entwickelt, wie sie die Bundesrepublik seit den frühen 1980er-Jahren nicht mehr gesehen hat. Doch woher kommt dieser neue Wille zum Straßenprotest im digitalen Zeitalter? Was macht den Spießbürger zum Wutbürger?

Umstritten blieb in der Diskussion, inwieweit es seit 2010 zu einem bedeutenden Zuwachs an Protesten und Demonstrationsteilnehmern gekommen ist. Soziale Medien erleichtern heute die Mobilisierung, führen aber auch dazu, dass sich Protestierende zunehmend in einer „Blase“ bewegen, in der es keine Meinungsvielfalt mehr gebe. Trotz der Etablierung dieser Gegenöffentlichkeit spielen die etablierten Massenmedien als Resonanzboden selbst für „Wutbürger“ nach wie vor eine große Rolle, so Gassert.

Einigkeit herrschte darüber, dass Protest schon lange keine Ausdrucksform mehr allein von Randgruppen oder Radikalen darstellt, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Auch die Polizei verhalte sich heute anders als in den 1960er-Jahren: Griffen Polizisten früher schnell zu repressiven Maßnahmen, werden sie heute trainiert, deeskalierend auf Protestierende zuzugehen. So handelte es sich beim harten Vorgehen gegen die S21-Gegner am „Schwarzen Donnerstag“ im Jahr 2010 um eine erklärungswürdige Ausnahme, nicht um die Norm wie noch zu Zeiten der Studentenbewegung.

Die Referenten hoben hervor, dass Protestbewegungen in der Demokratie eine wichtige Rolle zukomme: Sie machen auf Probleme aufmerksam und leisten auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung.

Betont wurde überdies, dass es für die Forschung essentiell sei, dass die Aktivitäten von Protestbewegungen dokumentiert und deren zunehmend digitale Kommunikation archiviert werden. Die Bibliothek für Zeitgeschichte plant, sich dieser Aufgabe für die deutsche Protestlandschaft anzunehmen. Mithilfe einer solchen Sammlung ließe sich dann auch die Frage beantworten, inwieweit es sich bei Stuttgart um einen besonderen Protest-Hotspot handelt.

Ein Video der Veranstaltung ist online auf L.I.S.A. abrufbar.

 

Video- und Audiostream

Das Video sowie ein Audiostream zur Podiumsdiskussion sind online über L.I.S.A.Wissenschaftsportal Gerda Henkel Stiftung abrufbar.