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Karl-Heinz Ott (links) und Manfred Koch (rechts), Fotos: Rafael Glatzel, WLB Stuttgart

Hölderlins Geister

„Der Hölderlin isch et verruckt gwä!“ Diese Zeile prangte nicht nur in den frühen 1980er Jahren am Eingang zum Tübinger Hölderlin-Turm. Auch mancher Artikel zu Friedrich Hölderlins 250. Geburtstag hat diesen Satz als Aufreißer genutzt, um Hölderlin möglichst nahbar zu machen.

Im ebenso heiteren wie bewegten Gespräch zwischen dem Schriftsteller und Essayisten Karl-Heinz Ott und dem Basler Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Manfred Koch über Otts jüngstes Buch, „Hölderlins Geister“, war das Graffito zunächst Anlass zur Erinnerung an ihre frühen Zugänge zu Hölderlin. Manuskriptlesungen Peter Härtlings aus seinem entstehenden Hölderlin-Roman in Ehingen an der Donau und entblößte Brüste auf der Bühne des Stuttgarter Staatstheater bei der Uraufführung von Peter Weiss‘ „Hölderlin“ im Jahr 1971 blitzten auf, dann die linksbewegte Tübinger Studienzeit zwischen Philosophie in der Burse, Neuphilologien am Schlachthof und eben dem Tübinger Turm, für den beide als Touristenführer im Nebenverdienst schließlich eigene Schlüssel hatten…

Bei der ersten Begleitveranstaltung zur Ausstellung „Aufbrüche – Abbrüche. 250 Jahre Friedrich Hölderlin“ in der WLB ging es Ott und Koch dabei naturgemäß nicht um Erinnerungsseligkeit. Es ging ihnen um die Möglichkeit zur ideengeschichtlichen Kontextualisierung und Kritik von Denkkonstellationen: Der artistisch in Sütterlin gesprühte Turmspruch führte das Gespräch so etwa zur seinerzeit äußerst wirkmächtigen These des französischen Germanisten (und vormaligen Résistance-Kämpfers) Pierre Bertaux‘ aus dem Jahr 1978, Hölderlin habe Wahnsinn nur simuliert, um politische Verfolgung und gesellschaftlichen Druck im repressiven System nach 1800 zu unterlaufen.

Ebenso lustvoll wie polemisch arbeitet sich Ott in „Hölderlins Geister“ zunächst durch die Auslegungskämpfe und Vereinnahmungsgelüste, denen der beinahe vergessene Dichter Hölderlin im Zuge seiner Wieder- und Neuentdeckung nach 1910 ausgesetzt war. Vermittels dieser rezeptionsgeschichtlich geschliffenen Brille schaut er dann immer wieder zurück auf Hölderlins Werk und stellt die Frage, was darin für das „weltanschauliche Gegrapsche“ des zunächst rechten, dann linken Zeitgeists im Zwanzigsten Jahrhundert eigentlich so anziehend erschien.

Eine der fatalen Hauptattraktionen macht Ott dabei im vielfältig auslegbaren und vibrierenden Hölderlinschen Glauben an die „große Vereinigung alles Getrennten“ aus, in seiner realen Hoffnung auf die vielzitierte „Rückkehr der Götter“: Denn nicht nur Hölderlin schienen darin die „Wunden der Moderne“ heilbar, sondern ab 1936 eben auch Martin Heidegger in seinem mit Hölderlin geführten Kampf gegen die „Seynsvergessenheit“ oder, drei weitere Dekaden später, dem dann linken Kampfgeist im Aufstand gegen die ‚bleiernen‘ Verhältnisse der Zeit.

Hier vor allem, aber eigentlich im Generalbass des Abends, plädierte Manfred Koch entschiedenen für einen genauen Blick auf die Kunstgebilde selbst und exemplifizierte dies mit einer interpretatorischen Miniatur auf die persönlichen Kontexte von Hölderlins Hymne „Andenken“ und ihre so häufig ins Bombastische zitierten, durchaus aber intim-trauernden Verse „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. Unabhängig vom Erlösungsanspruch, vom real-naiven Glauben Hölderlins an die Erlösbarkeit der Moderne, bleibe Hölderlins Erlösungsphantasie, ihre sprachkünstlerische Gestalt, Rhythmik und Bildlichkeit für ihn doch von größter Schönheit. Sprach’s und zitierte, ‚off by heart‘ und mit einem schmunzelnden Ott neben sich, einige Verse als Antidot gegen Hölderlins Geister.

 

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