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Foto: Marcel Katz, WLB Stuttgart

Faszination Art Déco. Zur Ausstellung „Schönheit, Glanz und Träume“

Als wir vor 45 Jahren unser erstes Buch mit Illustrationen dieser Epoche, die man etwa zwischen 1912 und 1935 ansetzen kann, erwarben, geschah es einfach aus spontanem Gefallen an den elegant gezeichneten, in leuchtenden Farben strahlenden Bildern des Buches. Wir ahnten nicht, dass es der Beginn eines wachsenden Interesses an der Grafik des Art Déco in Büchern und Zeitschriften werden sollte, aus dem eine umfangreiche Sammlung entstanden ist. Es ist ein seltsamer Zufall, dass dieses Buch den Titel „Le dessus du panier“ trägt, was umgangssprachlich etwa mit „Die oberen Zehntausend“ oder „Die Crème de la Crème“ zu übersetzen ist. Diese Begriffe sind das ideale Leitmotiv für die Kunstwerke des Art Déco, das in der Fachwelt ausdrücklich als Luxuskunst definiert ist – gerade so, wie der unmittelbare Vorläufer, nämlich die Kunst der Wiener Werkstätten, die sich ebenfalls auf angewandte Kunst beschränkten und dabei eindrucksvolle grafische Blätter und Folgen produzierten.

Dieses unser erstes Buch ist im Sommer 1914, also wenige Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erschienen und auch darin ein Charakteristikum dieser Epoche, die ungeachtet von Krieg, Krisen, Geldentwertung, Not und tiefgreifenden sozialen Verwerfungen sich den Träumen von Schönheit und glücklichen Lebensentwürfen widmete. Man könnte das als leichtfertig oder gar moralisch bedenklich bewerten, aber vielleicht bedürfen die Menschen gerade in schwierigen Zeiten solcher Signale eines ungebrochenen lebensfrohen Optimismus. Deshalb ist das Wort „Träume“ im Titel unserer Ausstellung besonders wichtig: Das in den Bildern imaginierte Glück, die scheinbar selbstverständliche Lässigkeit sind weniger Realität als eben Träume. Auch sollte man nicht die Ironie übersehen, die viele Blätter bestimmt: So lang wie auf den Bildern des Art Déco waren weder jemals die Beine der Frauen oder die Motorhauben der Automobile. Die Zeichner zeigen uns Wunschvorstellungen. Wie schlimm wäre es um eine Zeit bestellt, die solche nicht hat und nicht träumen kann. Deshalb verzichten wir in unserer Sammlung ganz bewusst auf die ja ebenfalls künstlerisch wertvollen Fotografien der Epoche, die der Realität bei aller Stilisierung viel näher sind.

Als Heimatland der Luxuskunst seit dem 17. Jahrhundert ist auch im Art Déco Frankreich (und das heißt praktisch Paris) federführend für diesen Stil, und seine luxuriösen Publikationen – die exklusiven Modezeitschriften wie die Gazette du Bon Ton kosteten das Monatsgehalt einer Verkäuferin und die Luxuskataloge der großen Modehäuser (gestaltet von den führenden Grafikern und hergestellt in dem überaus kostspieligen Pochoir-Verfahren) – waren unbezahlbar: Prestigegeschenke an die Kundinnen aus den oberen Zehntausend.

Beeindruckend an diesen nun auch schon 100 Jahre alten Grafiken ist ihre unverbrauchte Frische – ganz im Gegensatz zu den nur wenige Jahre zuvor noch dominierenden Moden und Sitten um 1900. Nicht zufällig heißt eine der schönsten grafischen Serien „Modes et Manières d’aujord’hui“, also weg vom Überkommenen. Die Körper werden, insbesondere durch den nun intensiv von Männern wie von Frauen betriebenen Sport, leichter: die Körperlichkeit nicht mehr verborgen, sondern mit erotischer Tönung bewusst zelebriert. Die Inneneinrichtungen werden vereinfacht in den Formen, die Kinderbücher haben nicht mehr den Ballast moralischer Vorbilderzählungen, die Reiseziele gehen über die Ozeane, die Geselligkeit nimmt mit Tanztees, American Bars und ähnlichem ganz neue Formen an. Das spiegelt sich in den Bildern. Coralie Philibert sprach kürzlich in einer Publikation zur Modezeitschrift Vogue von ‚nouvelles stratégies de communication‘ und der ‚force de séduction de l’image‘ und trifft damit präzise das Neue dieser Stilrichtung. Die Blätter des Art Déco präsentieren also – ungeachtet ihrer oft realitätsfernen Träume – reale soziale Veränderungen. Die schönen Blätter führen damit zu Reflexion und Einsicht in sozialgeschichtliche Gegebenheiten und Entwicklungen.

In vielem sind sie Belege für den Aufbruch ins 20. Jahrhundert und strahlen heute zugleich den Charme einer – zum Teil nie wirklich vorhandenen – glücklichen Vergangenheit aus. Sie zeigen, was Glück sein könne, und vermitteln dem Betrachter und ganz besonders dem Sammler eine Ahnung davon.

Schönheit, Glanz und Träume – Illustrationen des Art Déco aus der Sammlung Lucius
Aufgrund der überaus positiven Resonanz wurde die Ausstellung bis zum 20. März 2022 verlängert!
Auch in den Weihnachtsferien besteht die Möglichkeit, die Ausstellung zu besuchen.
Öffnungszeiten: Mo-Fr. 9-20 Uhr, Sa-So 11-17 Uhr (an gesetzlichen Feiertagen sowie am 24.12. und 31.12. geschlossen)

Bitte beachten Sie die aktuell geltenden Zugangsregeln und das Hygienekonzept.

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