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Ein Schnäppchen

Am 14. Oktober 2020 wurde für knapp 10 Millionen US-Dollar beim Auktionshaus Christies in New York ein vollständiges Exemplar der ersten Folio-Ausgabe („First Folio“) der Werke Williams Shakespeares aus dem Jahr 1623 erworben. Zwar haben sich von den wohl 750 Exemplaren etwa 235 erhalten, alle außer zwölf Exemplaren aber unvollständig. Bereits 1960 konnte die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart mit Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und beraten vom Stuttgarter Antiquar Fritz Eggert für 310.000 DM ebenfalls ein vollständig erhaltenes und noch dazu breitrandiges Exemplar dieser Erstausgabe der meisten Werke Shakespeares auf einer Auktion erwerben.

Diese Ausgabe wurde sieben Jahre nach dem Tod Shakespeares von Personen aus seinem unmittelbaren Umfeld für ein Pfund, etwa dem damaligen Gegenwert von zwei Monatslöhnen eines Handwerkers, auf den Markt gebracht. Im Unterschied zu früheren Teil- und Einzelpublikationen bot sie erstmals einen zuverlässigen Text, ein als ziemlich authentisch geltendes Portrait Shakespeares, gestochen von Martin Droeshout, sowie erstmals überhaupt die Texte von Klassikern des Repertoires wie „Was ihr wollt“, „Maß für Maß“, „Macbeth“ oder „Der Sturm“, die ansonsten nicht überliefert wären. Die Württembergische Landesbibliothek freut sich sehr, unter ihren vielen Schätzen ein solch hervorragendes Zeugnis menschlicher Kreativität, Sprachkunst, Beobachtungsgabe, Witz und Liebenswürdigkeit bewahren zu dürfen. Viel Geld? Kunstpreise sind nicht nur rational, aber damals wie heute konnte man dafür nicht einmal einen Kilometer Autobahn bauen. 1960 hat auch die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln mit Hilfe von Spenden ein Exemplar erworben.

Heute wäre es unwahrscheinlich, dass eine deutsche Wissenschaftliche Bibliothek sich darum bemühen würde. Zum einen genießt der Kanon großer Autoren nicht mehr die gesellschaftliche Geltung, zum anderen steht der wissenschaftliche Ertrag in keinem Verhältnis zu den Kosten. Das öffentliche Sammeln ist dadurch nicht einfacher, aber wesentlich weniger spektakulär geworden.